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Verlust kognitiver Fähigkeiten durch Künstliche Intelligenz

Wie würde eine Welt aussehen, in der wir uns voll und ganz auf KI Anwendungen verlassen. Verschiedene kognitive Fähigkeiten vernachlässigen, da wir sie für unnötig halten, um in einer KI gesteuerten Zukunft zu bestehen?

Wahrscheinlich würde es uns gar nichts ausmachen, da wir gar nicht mehr in der Lage sind, es zu verstehen. Geistige Fähigkeiten wie das Problemlösen, kritisches Denken oder Entscheidungsfindung würden sich verschlechtern und wir wären in einer Abhängigkeit gefangen, die uns von Programmen diktiert wird.

Diese Zukunft könnte man vermuten, wenn man sich das Ergebnis einiger aktueller Studien zu diesem Thema anschaut.

Aber fangen wir erst einmal von vorne an – Lernen.

Kognitive Fähigkeiten

Zwischen dem 30. und 40. Lebensjahr beginnt langsam der Abbau unserer kognitiven Fähigkeiten. Zuvor haben sie meist ihren Höhepunkt erreicht und wurden zudem kontinuierlich während der Schulzeit, der Ausbildung oder dem Lernen im Job herausgefordert. Ab diesem Zeitpunkt verringert sich bei vielen Erwachsenen das Erlernen neuer Fähigkeiten und auch bestehende werden immer weniger herausfordernd genutzt.

So viel zu den Tatsachen, welcher zum Glück nicht unumkehrbar sind. Denn indem wir uns dazu entschließen, lebenslanges Lernen in unseren Alltag zu integrieren, können wir diesen Abbauprozess verlangsamen und sogar wieder das kognitive Niveau von Studenten erreichen[1].

Ist es dann nicht praktisch, wenn uns KI Systeme dabei helfen?

KI im Bildungssektor

Laut einer aktuellen Studie aus dem Jahr 2023[2], in der der Einfluss von KI Systemen auf den Bildungssektor untersucht worden ist, können wir positive aber leider auch ein paar negative Aspekte erkennen.

Zum einen können KI Systeme als Unterstützungswerkzeuge eingesetzt werden, die als Assistenz dienen und darüber hinaus auch bei der kognitiven Wissensarbeit unterstützen. Schon heutzutage werden diverse wissenschaftliche Durchbrüche erreicht, die ohne den Einsatz künstlicher Intelligenz gar nicht oder sehr viel langsamer passiert wären.

Dennoch wurden auch einige negative Aspekte festgestellt, welche die kognitiven Fähigkeiten der Studierenden betreffen. Verlassen diese sich zu sehr auf die KI Systeme kann es passieren, dass sich bestimmte geistige Fähigkeiten abbauen. Wir verlieren sie. Dazu zählen u.a. das kritische Denken, Problemlösen, das Treffen von Entscheidungen und die Zunahme von geistiger Trägheit.

Außerdem berichteten die Studierenden von Sicherheitsproblemen und dem Verlust von Privatsphäre, welche durch die Nutzung von diesen Systemen ausgingen.

Empfehlungen zum Umgang mit diesen negativen Aspekten sind:

  • Ethische Fragen sollten vor der Nutzung dieser Systeme besprochen und geklärt werden
  • Die Modelle müssen auf sicherer Basis erstellt werden, um die Privatsphäre der Nutzer zu schützen und ihre Sicherheitsbedenken zu berücksichtigen
  • Die Abhängigkeit dieser Systeme muss ab einem bestimmten Level reduziert werden, um keinen negativen Einfluss auf die kognitiven Fähigkeiten zu erhalten
  • Es sollte für alle Anwender eine Einführung in diese Systeme geben

Kopieren war das erste Problem

Erste Veränderungen in der Art und Weise, wie sich z.B. die Softwareentwicklung in den letzten Jahrzehnten verändert hat, konnten wir schon miterleben. Durch die leichte Verfügbarkeit vermeintlicher Lösungen, wurden immer häufiger ganz Codeteile in die eigene Implementierung übernommen. Stackoverflow sei Dank.

Mit der Folge, dass die Entwickler mitunter nicht einmal mehr verstanden haben, was ihr Code eigentlich macht, oder wie die Ergebnisse zustande kamen. Bedeutet, es kam zu Fällen, wo vermeintlich korrekter Code nur deswegen akzeptiert wurde, weil man nicht wusste, wie das korrekte Ergebnis aussah. Man hatte eine Lösung, die war plausibel und wurde akzeptiert.

Selbst die Tests kamen zu keinen Fehlern, da man die plausibel anmutenden Ergebnisse als korrekt ansah und die Tests nicht weiter in die Tiefe kontrollierte.

Gründe:

  • Leichter Zugang zu Informationen und Lösungen verringert das kritische Denken und auseinandersetzen mit diesen
  • Die Welt wird immer schnelllebiger, wodurch der Druck auf die Angestellten zunimmt
  • Weniger Zeit, sich mit den Problemen auseinanderzusetzen – Lösungen müssen her

Die erste Phase des langsamen Abbaus von kognitiven Fähigkeiten. Das tiefgründige Auseinandersetzen mit den Aufgaben und dem zu bewertenden Code wurde eingetauscht durch einen einfachen Zugang zu dargelegten Lösungen.

Die Quantität des Outputs wurde immer mehr gefeiert, ohne die Qualität desselbigen zu überprüfen. (Natürlich ist das zum Glück nicht die Regel, aber leider in vielen Fällen vorgekommen.)

Einfluss von Chatbots

Die letzten Jahrzehnte waren durch den Einsatz der bekannten Suchmaschinen gekennzeichnet. Dabei mussten die Nutzer die Inhalte aber immer noch selber durchschauen und ihre eigenen Rückschlüsse ziehen. In einer Publikation aus dem Jahr 2024 wurde darauf eingegangen [3].

Suchmaschinen: passives Darstellen der Inhalte und keine Interaktion mit dem Nutzer

Mit dem Aufkommen der Chatbots und der Nutzung von z.B. ChatGPT, hat sich das Nutzungsverhalten verändert. Diese Systeme wurden mit unzähligen Daten trainiert und es besteht eine Interaktion zwischen dem Nutzer und dem KI Modell. Da zudem die Antworten meist sehr logisch aufgebaut und für menschliche Nutzer personalisiert geschaffen wurden, ist das Vertrauen in diese erhöht.

Chatbots, ChatGPT, etc: interaktives konsumieren und Interaktion mit der KI

“Wir vertrauen mitunter den Antworten von Chatbots, ChatGPT, etc. aufgrund des interaktiven Austausches und der personalisierten Antworten in einem größeren Maße, ohne diese Informationen kritisch zu hinterfragen und überprüfen.”

Darüber hinaus werden bestimmte kognitive Aufgaben, die wir normalerweise selber erledigen würden, nun auch von den Modellen übernommen, was wiederum dazu führen kann, dass sich diese bei uns Menschen verschlechtern.

KI Systeme können unseren kognitiven Output erhöhen und neue Sichtweisen fördern, indem sie einen interaktiven Austausch ermöglichen, der sich auf den aktuellen Wissensstand des Nutzers anpasst. Wunderbar! Dennoch sollte es vermieden werden, sich in eine geistige Abhängigkeit zu begeben und weiterhin eine Balance zwischen mentaler Aktivität und kognitiver Herausforderung beizubehalten.

Zum Glück haben wir von Geburt an ein Werkzeug mitbekommen, welches sehr gut mit Veränderungen umgehen kann und sich auf fast alles einstellt.

Unser Gehirn.

Neuroplastizität

Die Anpassungsfähigkeiten unseres Gehirns sind wirklich erstaunlich. Dabei muss man aber auch bedenken, dass dies für beide Richtungen gilt.

Nutzen wir es, kann es sich entwickeln und unsere kognitiven Fähigkeiten aufrecht erhalten bzw. ausbauen. Vernachlässigen wir es hingegen und lassen es verkümmern, bauen sich die neuronalen Verbindungen über die Zeit ab und es verkümmert.

“Use it or lose it”

Damit wir möglichst unser Leben lang von einem gesunden Gehirn profitieren, müssen wir es herausfordern und ihm etwas bieten. Dann ist es in der Lage, neue Verbindungen zwischen dem erworbenen Wissen zu erstellen und diese zu festigen.

Das Zauberwort lautet: Neuroplastizität

Unter dieser versteht man “die Fähigkeit des Gehirns, sich durch Lernen und Erfahrung strukturell und funktionell anzupassen“[4].

Und das beste daran, es funktioniert ein Leben lang. Egal ob wir 20, 40, 60 oder älter sind. Unser Gehirn ist in der Lage, sich im Laufe unseres Lebens kontinuierlich anzupassen und selbst bei Verletzungen neue Wege zu finden, mit diesen umzugehen.

Dabei gibt es 3 Arten von Veränderungen.

  1. Strukturelle Neuroplastizität: Physische Veränderungen wie das Wachstum neuer Neuronen oder Synapsen durch Lernen, Erfahrung und Verletzungen.
  2. Funktionelle Neuroplastizität: Veränderungen in der Aktivität und Effizienz von neuronalen Schaltkreisen durch häufiges Nutzen derselbigen.
  3. Kompensatorische Neuroplastizität: Wiederherstellen bestimmter Funktionen, welche durch Verletzungen oder Krankheit beschädigt wurden.

Dabei ist es besonders wichtig, eine Vielzahl von Neuronen und Verbindungen zwischen diesen zu haben, um sich auf unerwartete Ereignisse schnellstmöglich einstellen zu können und den natürlichen Abbau während des Alterungsprozesses umzukehren.

Kognitive Reserven

Wie bereits erwähnt, bestehen zwischen den Neuronen in unserem Gehirn viele Verbindungen. Neuronen können mittels Neurotransmittern (biochemische Botenstoffe, die es Ermöglichen, Reize auszulösen und dadurch Signale zu anderen Neuronen zu senden[5]) miteinander kommunizieren. Werden diese Verbindungen nicht genutzt, bauen sie sich wieder ab und die Vielfalt in unserem Gehirn verfällt.

Und Vielfalt ist wichtig. Denn je mehr Verbindungen existieren, desto mehr Möglichkeiten besitzen wir, mit Problemen umzugehen. Es ist wie im täglichen Berufsverkehr, bei dem wir von Ort A nach B kommen wollen. Gibt es einen Stau, könnten wir diesen umfahren, aber nur, wenn wir wissen, dass es auch die Möglichkeit über D und F gibt, um nach B zu gelangen.

Und auch wenn Neuronen und Synapsen keine Muskeln sind, agieren sie doch praktisch identisch. Es benötigt viel Zeit und Anstrengung, um Muskeln wachsen zu lassen. Haben wir diese aufgebaut, ist es nur durch kontinuierliches Training möglich, diese auch zu behalten, da sie sich mit der Zeit wieder abbauen.

Das Gehirn trainieren

Um unsere kognitiven Fähigkeiten möglichst kontinuierlich zu verbessern und aufrecht zu erhalten, können wir diverse Aktivitäten ausführen.

Etwas neues Lernen

Damit wir unser Gehirn immer mal wieder vor neue Herausforderungen stellen, sollten wir Aktivitäten ausführen, die bisher nicht zu unserem Repertoire gehörten. Das kann das Erlernen einer neuen Sprache, eines Musikinstrumentes, einer neuen Sportart oder dem Kochen mit uns nicht bekannten Techniken sein.

Hauptsache, wir müssen uns wieder in ein neues Themengebiet einarbeiten und diese durchdringen.

Herausfordernde Aufgaben

Manchmal kann es auch einfach reichen, wenn wir Prozesse und Tätigkeiten, die wir bereits kennen, auf andere Art und Weise lösen / angehen. Neue Lösungswege ausprobieren, Fortschritte in der Technologie nutzen oder versuchen, andere Herangehensweisen auszuprobieren. Alles, was uns aus dem gewohnten Trott herausholt, ist dabei hilfreich.

Und oft auch wieder motivierend, sich mit dem Problem zu beschäftigen und nicht einfach nur auf Autopilot auszuführen. Denn, je komplexer und herausfordernder die Umwelt ist, in der wir leben, desto einfacher fällt es unserem Gehirn, neue Verbindungen aufzubauen.

Ernährung und Sport

Regelmäßiges Trainieren führt zu einer besseren Durchblutung und Sauerstoffversorgung, wodurch sich auf eine Reihe positiver Effekte auf unser Gehirn einstellen. Zudem ist eine ausgewogene Ernährung sinnvoll, wenn wir unseren Körper bei der Regeneration unterstützen wollen.

Erholung / Schlaf

Stress beeinflusst die Neuroplastizität und führt zu einem erhöhten Cortisolspiegel (Stresshormon) im Körper. Dadurch kann dieser sich nicht optimal regenerieren und es kann zudem auch zu weiteren Krankheiten führen.

Auch ein ausführlicher und erholsamer Schlaf ist sinnvoll, um die körperliche Erholung zu unterstützen. Während des Schlafes finden eine Reihe von Säuberungsprozessen in unserem Gehirn statt und das Lernen wird zusätzlich verbessert. (Wer noch mehr dazu wissen möchte, kann sich auf in meinem neuen Buch “Bin müde, suche Schlaf” informieren.)

Unterstützen wir unser Gehirn, die kognitiven Fähigkeiten aufrecht zu erhalten und nicht durch eine Abhängigkeit von externen Systemen zu verringern, ist dies ein weiterer Schutz vor diversen Krankheiten wie Alzheimer, Demenz oder dem generellen altersbedingten Abbau.

Schlussfolgerung

Systeme basieren auf künstlicher Intelligenz werden nicht mehr aus unserem Leben verschwinden. Sie werden vielmehr unsichtbarer werden und in diversen Anwendungen mit vorhanden sein. Daher ist es auch wichtig, sich mit diesen zu beschäftigen und zu verstehen, wie sie funktionieren. Ihre Vor- und Nachteile zu begreifen und möglichst nutzbringend in das eigene Leben zu integrieren.

Dennoch zeigen diverse Studien, Publikationen und Erfahrungsberichte, dass es wichtig ist, nicht in eine Abhängigkeit von diesen System zu verfallen. Insbesondere das Auslagern wichtiger kognitiver Fähigkeiten (Problemlösen, kritisches Denken, Lernen, Entscheidungsfindung, etc.) in die KI Systeme kann dazu führen, dass sich diese über die Zeit bei uns zurückbilden und verschlechtern. Im schlechtesten Fall nie wirklich ausbilden, da spätere Generationen einen leichten Zugang zu Informationen bevorzugen, ohne diese kritisch und tiefgründig zu hinterfragen.

Damit es nicht dazu kommt, sollten wir uns den folgenden Punkten gewiss sein:

  • KI Systeme sind Werkzeuge, die den Menschen unterstützen sollen, aber nicht das Denken ersetzen
  • Ein kritischer Umgang mit diesen Systemen ist wichtig, um Fragen der Privatsphäre, Ethik oder Korrektheit nicht zu vernachlässigen
  • Ein offener Umgang mit KI Systemen ist wichtig, um das Verständnis dieser Systeme in der Breite der Bevölkerung zu erhöhen
  • Nur weil es gut klingt, muss es nicht gut, oder richtig sein. Das gilt für Marketingmaterialien, Interviews und Antworten eines Chatbots.

Training fürs Gehirn.

“Wenn mich jemand überzeugen kann, daß ich nicht richtig urteile oder handle, so will ich’s mit Freuden anders machen, denn ich bin ein Wahrheitssucher, und von der Wahrheit hat noch nie jemand Schaden gelitten Schaden leidet aber, wer auf seinem Irrtum und auf seiner Unwissenheit beharrt.”

Marc Aurelius, 6.Buch 21

Quellen

[1] To stay sharp as you age, learn new skills

[2] Impact of artificial intelligence on human loss in decision making, laziness and safety in education

[3] From tools to threats: a reflection on the impact of artificial-intelligence chatbots on cognitive health

[4] Was ist Neuroplastizität?

[5] A healthy brain

[6] Train your brain